Samstag, 13. Juni 2009

Sendeschluss

Heute um Mitternacht geht in den USA die Ära des analogen Fernsehens zu Ende: das älteste Fernsehsystem der Welt hört auf analog zu senden.

Empfang über Antenne ist zwar nach wie vor möglich, aber der Fernseher muss in der Lage sein, das digital gesendete Signal in ein Bild zu übersetzen.

In keinem anderen Land kann ich mir vorstellen, dass ein TV Projekt auf derart hoher politischer Ebene gemanaged wird wie hier in den USA: die Bundes-Rundfunk-Aufsichtsbehörde, die Federal Communications Commission, leitet die Umstellung. Der Kongress hat mit unzähligen Eingaben, Kommissionen, Debatten und Gesetzes-Entwürfen kräftig mitgemischt. Und der Präsident höchstpersönlich hat entschieden, daß der Übergang zu rein digitalem Fernsehen um vier Monate, von Februar auf Juni, verschoben wird. “Das Land war im Februar dazu noch nicht bereit”, hiess es Ende Januar aus dem Weissen Haus.

 Obwohl das Fernsehprogramm in den USA fast zu 100% privatwirtschaftlich organisiert ist, redet der Staat gerade wenns ums Fernsehen geht kräftig mit. Aus einem mit Steuermitteln öffentlich finanzierten Budget von $500 Millionen werden an die Bürger $40 Coupons ausgegeben, die die Kosten einer “Converter Box” decken, mit der das digitale Bild auf dem alten, analogen, Fernseher dargestellt werden kann. Mit anderen Worten: wenn Du Dir keinen neuen Fernseher leisten kannst (oder willst), bezahlt der Staat Dir den Übergang ins neue System. Dennoch erwartet man, daß ca. 5% der im Lande genutzten TV’s ab morgen nicht mehr funktionieren werden.

Das jetzige amerikanische Fernsehsystem existiert sage und schreibe seit 1928. Die heute dominierenden Fernsehsender ABC, CBS und NBC gingen in den 30er Jahren aus Hörfunkstationen hervor. Seit 1941 wird das Programm in Farbe ausgestrahlt – Jahrzehnte früher, als in den meisten anderen Ländern. Und das 1939 definierte Farbsystem NTSC ist im 21. Jahrhundert hoffnungslos veraltet (Spötter übersetzen schon seit Jahre die Abkürzung NTSC als “Never The Same Color”, oder “Nie Die Richtige Farbe”). Das ist der technische Grund für diesen Übergang zum digitalen Fernsehen.

Die Bedeutung die das Fernsehprogramm für die Kultur der USA hat, kann man kaum überschätzen. Im Unterhaltungsbereich schuf das NTSC Fernsehsystem solche Hits wie I Love Lucy; Laurel & Hardy; Bonanza; Battlestar Galactica; Dallas; Miami Vice oder Lost. Und im politischen Bereich wird allgemein angenommen, dass bereits die Präsidentenwahl 1959 (Richard M. Nixon gegen John F. Kennedy) durch den besseren Fernsehauftritt Kennedys entschieden wurde. Heute hat der Kongress in Washington sein eigenes Fernsehprogramm mit drei Kanälen, auf denen jede, aber auch jede Plenarsitzung, Ausschussitzung, Kommission, Fragestunde, Debatte und jede andere Form der Kongressarbeit übertragen wird.

In unserem Programm hier in Hebron gibt es alleine 6 Lokalstationen: “lokal” bedeutet hier nicht etwa Programme aus Cincinnati (da gibt es viel mehr als 6), sondern Programme aus dem kleinen Flecken Hebron. Jedes Basketball und Footballspiel der örtlichen Gymnasien, jede Stadtratssitzung, unzählige Gottesdienste und Predigen, ja sogar jede Sitzung der Schulkommission werden so im Lokal Fernsehen übertragen. Die amerikanische Version der Demokratie ist ohne Fernsehen unvorstellbar.

Viele amerikanische Familien haben mehr TV Geräte als Familienmitglieder. Zusammen mit Elektrizität und Telefon gibt es in fast jedem Zimmer des Hauses einen Anschluss ans Fernsehkabel. Zu jedem Schlafzimmer gehört ein TV. Spezielle TV Geräte sind für den Einsatz in der Küche (ausklappbarer Bildschirm wird an der Unterseite der Hängeschränke montiert) oder im Badezimmer (wasserabweisend) entworfen. Man kann sogar Kühlschränke mit eingebautem Fernseher kaufen. Im Wohnzimmer steht sowieso zwangsläufig ein TV. Und im Keller hat man heute ein “Media Center” – sprich einen Riesenfernseher mit 52 oder gar 60 Zoll, zusammen mit Ledersesseln, auf dem man dann jeden Sonntag die Football Spiele anschaut.

Wir zeigen unsere europäische Herkunft dadurch, daß wir “nur” zwei TV Geräte besitzen (strenggenommen können wir natürlich auf unseren Computern fernsehen), und keines davon steht im Wohnzimmer (eines ist in unserer Gallerie, eines am Laufband im Keller). Oftmals, wenn uns amerikanische Freunde das erste Mal besuchen und wir ihnen das Haus zeigen gibt es die folgende Konversation: “Und wo ist Euer Wohnzimmer?” - “Du stehst mitten drin”. “Das kann nicht sein, in diesem Zimmer steht kein Fernseher”.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Staaten sind halt doch fortschrittlich. Das wird bei uns auch noch kommen

Gruss

Daddy

claus hat gesagt…

Ob man eine Komplett-TV-Berieselung als Fortschritt bezeichnen kann, darf bezweifelt werden. Bei der Qualität des TV-Programms, die mit Sicherheit bei Euch auch nicht besser ist als bei uns, ist das schon eher eine Tortur. Nee, das ist schon okay: zwei Fernseher sind mehr als genug.